Foto: Markus Termin ©
Claude Lévi-Strauss, der französische Ethnologe, hat ein unglaubliches Buch geschrieben: „Die Traurigen Tropen“. Es beschreibt seine Erlebnisse und Studienergebnisse bei der ethnologischen Grundarbeit: dem Studium der Daseinsart und Kultur anderer, von Kontakt mit der Zivilisation weitgehend verschonter Völker, Indianern mitten im Wald. Daraus möchte ich einen Ausschnitt zitieren:
„Ferner wohnte in Kejara ein Eingeborener, der mein Dolmetscher und mein wichtigster Informant werden sollte. Dieser etwas 35 Jahre alte Mann sprach recht gut portugiesisch. Wenn man ihm Glauben schenken durfte, hatte er einmal lesen und schreiben können (es inzwischen aber wieder verlernt), Ergebnis einer Erziehung in der Mission. Stolz auf ihren Erfolg hatten die Patres ihn nach Rom geschickt, wo er vom Papst empfangen worden war. Nach seiner Rückkehr wollte man ihn anscheinend in christlicher Weise und ohne Rücksicht auf die traditionellen Regeln verheiraten. Dieser Versuch stürzte ihn in eine geistige Krise, aus der er zum alten Bororo-Ideal (Bororo ist der Name des Stammes, M.T.) geläutert hervorkam: er ließ sich in Kejara nieder, wo er seit zehn oder fünfzehn Jahren das vorbildliche Leben eines Wilden führte. Nackt, rot bemalt, Nase und Unterlippe von Stab und Lippenpflock durchbohrt, mit Federn geschmückt, erwies sich der Indianer des Papstes als ein hervorragender Professor für Bororo-Soziologie.“
Foto: Markus Termin ©
Natürlich. Auch die Kartoffel kommt aus Südamerika und bei den Kastanien scheint es auch so zu sein. Der Mais? Sowieso. Aber auch der Jaguar. Und Sedna, der zehnte Planet! – von Indianern aus Nordamerika.
Claude Lévi-Strauss 28. November, 1908 um 01:00 in der Nacht
in Brüssel, Belgien, geht also auf seinen 101 Geburtstag zu. Das ist die Nummer von Donald Duck´s Auto.
An der Reisebeschreibung „Traurige Tropen“ ist das Phänomenale, dass dieses wunderbare Buch Zeile für Zeile in eine Welt vordringt, die es fast nicht mehr gibt (tatsächlich ging letztes Jahr das Bild von den aus der Luft fotografierten Indianern um die Welt, wie sie ein Flugzeug mit Pfeilen beschossen) und die dennoch unsere eigene Welt ist: wir lernen, dass die Völker Südamerikas zum Teil von einer höher entwickelten Zivilisation abstammen, gleichzeitig begegnen wir mit den Indianern – vielleicht vom Jaguar-Clan oder durch den Jaguar-Gott der Azteken – unserer eigenen Mythologie, die sich doch tatsächlich in Form einer Automarke vor uns dämonisch offenbart. Wir sind von Maschinen in Anspruch genommen. Was bedeutet das?
Foto: Markus Termin ©
Zum Glück hatten wir hier einen Philosophen Namens Martin Heidegger. Der hat uns erst mal die Sprache erklärt. Wenn ich richtig informiert bin, wurde er hier nicht anerkannt, aber sehr wohl in Frankreich. Dort interessierte man sich für ihn. Und da er sich als Professor und Universitäts-Rektor mit den Nazis – brillant kurz zwar, zu sehr früher Zeit, aber dennoch ein halbes Jahr incl. Lederhosenromantik, die bei Waagen so lächerlich aussieht, wie Wolfgang Döbereiner treffend bezüglich Hitler (AC Waage) vermerkt, kompromittiert hatte, brauchte es einen Jaques Derrida um ihn – in der Durchreiche einer französische-afrikanischen Landgaststätte quasi – philosophisch zu bestätigen, der ihn einfach mit den großen bekannten Philosphen und Geistesgrößen Deutschlands in einer Reihe nennt. Derrida, jüdischen Glaubens, ließ seine Söhne nicht beschneiden.
Heidegger nun, sagt dieses: wenn wir von den Maschinen in An-Spruch genommen werden, so bedeutet dies vor allem, dass – wie Heidegger sich ausdrücken würde – ein „Spruch“ von den Maschinen ausgeht. Was soll das sein? Zunächst einmal eine Aktivität. „Wie“, sind wir gewohnt, zu denken, „Maschinen sind doch eigentlich nur durch uns aktiv?“ Wir sind es doch, die sie anschalten und/oder ausschalten. Eben nicht. Schon während Sie dies vielleicht an ihrem oder einem anderen Computer lesen, setzt es meinerseits den Gebrauch mehrerer Maschinen voraus: mein eigener Computer, die stromerzeugenden Betriebe, deren Zulieferer und Versorger, etc. Einige von diesen Maschinen bedienen auch Sie selbst mit ihrer augenblicklichen Aktivität, diesen Artikel zu lesen. Mindestens ihren Computer. Daraus folgt: obwohl wir tatsächlich Maschinen gebrauchen, so bedienen wir sie doch auch gleichzeitig. Denn unser Gebrauch ist gebunden an das Bedienen der Maschine. Wir müssen zunächst in einer von der Funktionalität vorgeschriebenen Art und Weise gegenüber der Maschine aktiv werden, sonst läuft nichts. Dies gilt auch für selbsteinschaltbare oder daueraktive Kameras. Denn der An-Spruch ergeht von den Maschinen an uns. Warum? Einfach deshalb: weil der Satz: „Wir werden von den Maschinen in Anspruch genommen“ ohne die Betonung des Wortes „An-Spruch“ durch Silbentrennung nicht als Aktivität durch ein Objekt verstanden wird. Nehmen wir den Satz: „Wir werden von den Schwestern in Anspruch genommen.“ Dann ist es klar, es sind die Schwestern. Aber Maschinen? Tun sie Dinge durch eigenen Willen? Wir glauben nein, aber die Grammatik des Satzes sagt: ja. Warum? Weil der Satz möglich ist und in seiner Gestaltung klar und verständlich ist: „Wir werden von den Maschinen in Anspruch genommen“ könnte in jeder Zeitschrift als Klischee-Satz jeden Tag zu lesen sein. Doch durch die Silbentrennung An-Spruch erst wird offenbar wer an-spricht und wer zu-hört. Können Maschinen sprechen? Was sagen sie? Sie sagen vor allem: „Füttert uns mit Energie, als wären wir Lebewesen.“ Nun gut, aber nicht zu sehr.
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.