Liebe Leserinnen und Leser,
ich lese gerade wieder ein Pynchon Buch, bevor das nächste in der deutschen Übersetzung am 17. September erscheint. Jenes, welches ich lese, heißt „Against the Day“, „Gegen den Tag“ …
Wer die Literatur von Pynchon nicht kennt, kann sich kaum vorstellen, welch eigensinniger Gegen-Kosmos mit der Kraft von Worten allein entworfen werden kann. Der Vergleich mit dem Wassermann James Joyce ist keine schlechte Idee.
Mit Venus, Merkur und Mars hat Pynchon gleich drei persönlichste Planeten rückläufig: – nochmal – „Gegen den Tag“ heißt eines, das Vorletzte seiner monumentalen Werke. Es handelt – wie immer bei Pynchon – in einer Vergangenheit, die eigentlich die Gegenwart ist, nur merkwürdig phasenverschoben – und hält einen Ausblick auf eine bessere Zukunft offen …
(Was mich zu dieser ungewohnt belletristischen Lektüre überredet hat, sind die Luftschiffe, die in diesem Buch eine Hauptrolle spielen.)
… ständiger Spiegel all der rückläufigen Planeten in seinem Horoskop. Aber nur als unorganisiertes Bündnis seiner allesamt durch Theorien der Verschwörung geschulten Leser, die durch und mit Pynchon mit allen Wassern gewaschen sind und weder dem CIA noch irgendeinem Volksvertreter (und leider auch sich selbst nicht) irgendetwas glauben würden; sind sie erstmal durch Pynchons Kabarett gewandert, der wie ein Rattenfänger von Hameln seine Poesie zum Selbstzweck auf die Spitze treibt. Und dort oben dann, auf der Spitze, verknallt das Schwarzpulver illuminierend, ekstatisch und deshalb: wahr.
Dabei ist Pynchon – typisch amerikanisch – absolut kein Weiser, oder gar Wissender. (Nachtrag 21.11.2010: Hoppla, nachdem ich in „Aigainst the Day“ weiter bin, war das, glaub ich, blöd dahergeredet … sorry). Und er kann auch nur seine eigene Methode reproduzieren. (Nachtrag 21.11.210: Eifersüchtig auf den besten Erzähler des Westens?)
Seine Methode: alles in einen Topf zu werfen (Nachtrag: Blödsinn, er folgt einer epischen Struktur im TV-Modus) und sich undifferenziert darüber lustig zu machen, entbindet ihn jedoch vom höheren Ernst und macht ihn – ähnlich, wie Zappa – Kraft seiner enzyklopädischen Poesie wiederum zu wahren Spiegel der Zeit und zum Medium der Kreativität, welches im innersten Kern höchst konservativ und verletzlich bleibt, und im tiefsten Herzen sogar patriotisch, so wie Bruce Spingstenn, Dylan, oder eben Zappa zwar immer den kultivierten Blues, die Jammerstimme oder die Ironie des gebrochenen Intellekts transportieren, in Wahrheit und im Zweifelsfalle jedoch die äußerste Klammer eines Wir-Gefühls bleiben, dem nicht die Zukunft gehört. Vielleicht singt der Blues keine andere Trauer, als diese: es sei schade, daß das freie Individuum letztlich aus dem alten Europa kommen wird und Amerikaner zwar den ausgelagerten Werwolf spielen können, aber letztlich doch die Flagge hissen, wenn´s drauf ankommt. Insofern bin ich sehr froh, Europäer zu sein; vielleicht sollten wir die Flagge mit den Venus-Pentagramm vor blauem Grund gegen eine mit diesem Motiv ersetzen?!
Das ändert aber nichts daran, daß Thomas Pynchon jenes Buch zum World War II geschrieben hat, der diesen Wahnsinn in die richtige Reihenfolge bringt; nicht historisch, aber psychotisch. Ähnlich, wie Fellini, dessen Plastik-Meer dem Wasser im Kino eher gleicht, als die Aufnahmen um die Deepwater Horizon.
Es ist nahezu unmöglich, jenes unterkühlte, gegenläufige und mitunter fast unerträgliche Temperament der rückläufigen Venus allein in Worte zu fassen. Aber AstrologInnnen wissen, wenn die rückläufige Venus im Horoskop ein/-es -er KlientIn auftaucht, daß es da eine Verzögerung geben wird, eine Art Zurückbiegen im Wollen, das die Geduld – allein schon beim Zuhören – auf härteste Proben stellt und doch so zwingend ist, wie die Stimmen der Sirenen für die Sinne des klang-geilen Odysseus.
Mit freundlichen Grüßen!
Markus
Hier die Stimme des Meisters im Original:
Thomas Pynchon, American Novelist | Reader’s Guides & Information | Inherent Vice
Zum Horoskop von Pynchon: wichtigster Aspekt seines Talents: Neptun Quadrat Mondknotenache. Mondknoten Zwillinge/Schütze: vom Wissen zum Glauben.
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