Liebe Leserinnen und Leser,
Heute leihe ich mir aus gegebenem Anlass eine Predikt von Meister Eckhart:
„Als ich heute hierherging, überlegte ich mir, wie ich euch so vernünftig predigen könnte, dass ihr mich wohl verstündet, und ich dachte mir ein Gleichnis aus. Wenn ihr das recht verstehen könntet, so verstündet ihr meinen Sinn und den Grund aller meiner Meinungen, den ich immer predigte. Es war aber das Gleichnis von meinen Augen und von dem Holze. Wenn mein Auge aufgetan wird, so ist es mein Auge. Ist es zu, so ist es dasselbe Auge, wegen des Sehens geht dem Holze weder etwas ab noch etwas zu.“
Meister Eckhart meint hier, daß es möglich ist, sich das Abbild des Baumes naturgetreu vorzustellen. Die Unbedingtheit seiner Feststellung läßt darauf schließen, daß die Sinne der Menschen die Resonanz des Geschehens einfach des Mangels an anderen Ablenkungen wegen unzerstreuter – und daher deutlicher – in ihrem inneren Sichtfeld abbildeten. „Inneres Sichtfeld meint hier nicht: Phan&tasie, sondern die allen bekannte und alltägliche Tatsache, daß es uns möglich ist, vollständige Erinnerungsbilder kraft des Geistes zu sammeln. Meister Eckhart spricht hier nicht von etwas esoterischem, auch der Neurologe kann sich ganz seriös mit „Erinnerungsbildern“ beschäftigen. Wir können sogar Erinnerungsbilder an ganze Filmsequenzen vor einem inneren Auge abspulen lassen, jeder tut das zur seelischen „Nachbearbeitung“ Adrinalin puschender super-spannender Filme. Und das, was dabei mit „Speicherkapazität“ belegt wird, ist schon das, was auch die Esoteriker mit „innerer Sicht“ meinen. Daher wäre vielleicht Meister Eckhart heute ein Jack Sparrows-Fan. Er denkt mit Humor. Hören wir weiter:
„Nun merket recht auf. Geschieht aber das, dass mein Auge an sich selbst eins und einheitlich ist und aufgetan und auf das Holz geworfen wird mit einem Ansehen, so bleibt ein jegliches, was es ist, und doch werden sie in der Wirksamkeit des Ansehens wie eines, so dass man sagen kann: Auge-Holz, und das Holz ist mein Auge.
Meister Eckhart beschreibt hier die Identität von Ding und Vorstellungsbild in den Nachbildern der vorstellenden und damit gegenwärtig präsenten Er=innerung.
Wäre aber das Holz ohne Materie und ganz geistig, wie das Gesicht meiner Augen, so könnte man in Wahrheit sagen, dass in der Wirksamkeit meines Gesichts das Holz und mein Auge aus einem Wesen bestehen. Ist dies wahr von körperlichen Dingen, viel mehr wahr ist es von geistigen Dingen.“
Das ist das, was ich mit „Humor“ meine. Eckhart denkt den Querbalken mit, der im Splitter-Gleichnis des Neuen Testaments angesprochen wird.
„Ihr sollt wissen, mein Auge hat viel mehr Einheit mit den Augen eines Schafes, das jenseits des Meeres ist, und das ich nie gesehen habe, als mit meinen Ohren, mit denen es doch eins ist im Wesen; und das kommt daher, weil das Auge des Schafes dieselbe Wirksamkeit hat wie mein Auge, und daher spreche ich ihnen mehr Einheit im Wirken zu als meinen Augen und Ohren, denn die sind im Wirken verschieden.
Meister Eckhart lehrt uns die Identität der Sinne. Das fällt uns schwer, zu verstehen – Sehen als Lebewesen/übergreifendes Sinnesfelds? – Wir gucken durch die Augen eines Schafes in einem andern Land, in Übersee? Genau betrachtet, spricht Eckhart von „Einheit im Wirken“. Das ist ein Hinweis, wie er den Seh-Sinn als wirkenden auffasst, aktiv, nicht passiv.
Ich habe manchmal von einem Licht gesprochen, das in der Seele ist und das ungeschaffen und unerschafflich ist. Eben dieses Licht pflege ich allewege in meiner Predigt zu berühren, und dieses Licht nimmt Gott unmittelbar und ohne Hüllen wahr, rein wie es an sich selbst ist, und diese Wahrnehmung findet statt in der Wirksamkeit der Hineingebärung.
Ebensowenig, wie oben die Erinnerungs=Vorstellung des Holzes esoterisch gemeint war, ist es jetzt die höhere „Analogie“ des Lichtes im übertragenen Sinne oder gar fiktiv zu verstehen, sondern als wahrhaftes Erlebnis innerer Realität.
Da kann ich wahrlich sagen, dieses Licht hat mehr Einheit mit Gott als mit sonst einer Kraft, mit der es doch im Wesen eins ist. Denn ihr sollt wissen, dieses Licht ist im Wesen meiner Seele nicht höher im Rang als die niederste oder allergewöhnlichste Kraft, die von Hunger oder Durst, Frost oder Hitze befallen werden kann, und das kommt daher, dass das Wesen einfach ist. Wenn man demnach die Kräfte im Wesen betrachtet, sind sie alle eins und gleich im Rang; aber betrachtet man sie in ihren Werken, dann ist eine viel edler und höher als die andere. Darum sage ich: wenn sich der Mensch von sich selbst und von allen geschaffenen Dingen abkehrt, so weit du das tust, so weit wirst du geeint und beseligt in dem Fünklein der Seele, das nie Zeit oder Raum berührt hat. Dieser Funke entzieht sich allen Kreaturen und will nur Gott, wie er an sich selbst ist. Er begnügt sich nicht mit Vater oder Sohn oder heiligem Geist, und nicht mit den drei Personen, sofern jede für sich in ihrer Eigenschaft dasteht. Ich sage wahrlich, eben dieses Licht begnügt sich nicht mit der Eigenhaftigkeit der fruchtbaren Beschaffenheit der göttlichen Natur. Ich will noch mehr sagen, was noch wunderbarer lautet: ich sage in guter Wahrheit, dieses Licht begnügt sich nicht mit dem einfachen stillstehenden göttlichen Wesen, das weder gibt noch nimmt, sondern es will wissen, woher dieses Wesen kommt, es will in den einfachen Grund, in die stille Wüste, wohin nie etwas Unterschiedenes, weder Vater noch Sohn noch heiliger Geist, gedrungen ist; in dem Innigsten, wo niemand heimisch ist, da begnügt es sich in einem Lichte, und da ist es einiger als in sich selbst; denn dieser Grund ist eine einfache Stille, die in sich selbst unbeweglich ist, und von dieser Unbeweglichkeit werden bewegt und da empfangen ihr ganzes Leben alle Dinge, die vernünftig leben und sich in sich selbst versenkt haben. Dass wir so vernünftig leben, das walte Gott. Amen.“
Sonne in die Fische, 19.02.2011 01:26 Nürnberg
Mit freundlichen Grüßen,
Markus
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