Poetry, Weltbild

Zen, Musik und Simulation

Foto Termin ©

Liebe Leserinnen und Leser,

diese Frage ist gar nicht so einfach zu lösen. Es geht mir darum: wenn Musik – life gespielt – einmal aufgenommen ist, dann ist sie unveränderlich, absolut fixiert. Natürlich ist das ein technisches Wunder. Schon früher war es mir unbegreiflich, wie sich in den Venyl-Rillen unserer alten Platten etwas so Detailgetreues wiedergeben läßt, mittels einer Diamant-Nadel ablesen am Berg und Tal gepresster Kleinigkeiten?! Technisch kann man das lange erklären, praktisch ist es Magie und ein Wunder.

Natürlich liebte ich es, meine Platten zu hören. Dann kam die digitale Revolution und wir hatten CDs. Jeder weiß, daß dadurch der Hörgenuss mit Sicherheit um die Hälfte reduziert wurde, binäre Bausteine bringen nicht dieselbe Atmosphäre, wie anlaloge Wellentäler.

Eine höhere Stufe dieses Mysteriums ist natürlich die Radio-Übertragung! Technisch mag das erklärlich sein, praktisch behaupte ich, daß wir den Zauber, den wir da nutzen, noch gar nicht begriffen haben. Auch die sprechende Bundeslade scheint eine Art Radio-Apparat gewesen zu sein, ohne Frage. …

Doch grundsätzlichst ist aufgenommene, konservierte Musik keiner wahren Korrespondenz mit dem Hörer mehr fähig. Es handelt sich also nicht authentisch um Musik, ein Miteinander und Austausch von Aufmerksamkeit und gegenwärtiger Spannung. Sondern es ist, ob man will oder nicht, nurmehr die Simulation von Musik. Das Fixierte verhält sich zum lebendigen Austausch nicht als Variante, sondern als veritabler Gegensatz!

Im Sinne eines erweiterten Kunstbegriffs wäre es sogar sinnvoll (und ist es seit Ur-Zeiten) Musik nur dann als wahre Musik zu begreifen, wenn es nicht Hörer und Musiker gibt, sondern nur Hörer, die gleichfalls musizieren. Der/die ein oder andere mag aus dem Urlaub zurückkommen und dieses „primitive“ wahrhaftigste Musikerlebnis am Lagerfeuer geteilt haben (und wenn er/sie nur begleitend mit einem Kiesel auf einer Flasche geklopft hat). „Sofern ihr nicht werdet, wie die Kinder … „

Die Ursprungszellen der Musikentstehung – wohnzimmergleiche Proberäume, von denen es sicher hunderttausend im Land gibt – die leben gar von jenem Ursprung …

Ich behaupte auch, daß mit zunehmendem Alter unserer Möglichkeit, Tonaufnahmen zu machen, diese einer konstanten progressiven Versteinerung unterliegen: ältere Aufnahmen können mehr Unmittelbarkeit transportieren, als neue und Neueste sind schon alt, bevor man/frau sie überhaupt anhört.

Macht man das Radio an, hört man in der Regel einen Song, der bereits bekannt ist: das Hören ist völlig überflüssig, jede Note vorhersehbar.

Wie es manche Künstler fertigbringen, trotz des grundsätzlichen Mankos der Versteinerung von Tonaufnahmen auf selbigen fühlbar Unmittelbares zu transportieren, welches sich im Ohr des Hörers wieder lebendig entpackt und dann entfaltet wie eine Rose von Jericho grün wird, sobald sie Wasser bekommt, das kann ich mir nur mit der zeitlosen Liebe erklären, mit der diese Musik aufbereitet wurde … aber es ist selten, sehr selten.

Und im öffentlichen Raum – Cafés gar – der unterträglichen Zwangs-Beschallung zu entkommen, das ist nahezu ebenso unmöglich, wie dem Motoren-Lärm zu entfliehen, der uns überall und ständig einhüllt, auf dem Land und in der Stadt, so daß wir schon fast ausrasten, wenn wir doch einmal mit heiliger Stille – dem einzig wahren Kirchenbau unserer Zeit – konfrontiert werden.

Denn wie ein leeres Gefäß kann sich erst die Stille mit Sinn füllen; und die Angst vor dem Sinn ist es, der die Stille verdirbt und meidet, wo auch immer es geht: einschläfernd und lullend, uns vor uns selber schützend. Ein voll besetztes Café ohne Musik-Müll erreicht schnell einen unerträglichen Lautstärkepegel aus lauter Stimmen, die den jeweils anderen übertönen wollen. Die Angestellten wissen das, und errichten zwischen sich und den Gästen eine lebensrettende Musik-Barriere.

Thomas Bernhard (09.02.1931), der alte Untergeher, hat mal gesagt, die Welt würde am Musik-Müll zugrunde gehen. Doch wer liest noch Bernhard? Und daß Stille teurer Luxus ist, hat sich unter den Reichen dieser Welt bereits herumgesprochen. So, wie früher nur der König ein Bad hatte und heute jeder eines fordert, könnte bald jeder etwas Stille fordern. Hoffentlich!

Mir dünkt, in den hoch bevölkerten Ländern dieser Erde hat man diese Weisheit schon lange begriffen … Zen spricht diese Sprache, schweigt sie sogar.

Mit freundlichen Grüßen!

Markus