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„Das göttliche Kind“

Nürnberg 18:03 – „Mit leuchtenden Augen kommen die Kleinen in die 1. Klasse, weil sie neugierig sind und etwas lernen wollen. In der dritten Klasse sind die leuchtenden Augen weg. Da stimmt etwas nicht“, stellt Sepp Daxenberger, der Kandidat für die Grünen zur bayerischen Landtagswahl kurz und treffend fest. Da mag es schon mal Sinn machen, diejenigen anzugreifen, die es besser machen: deshalb heute aktuell schon wieder ein Artikel gegen Waldorfschulen, weil es ein neues „Schwarzbuch“ zu diesem Thema gibt, welches durch seinen Autor, Herrn Grandt, laut Süddeutscher Zeitung „trotz unangenehm eitler Töne und miserabler Ausdrucksweise entscheidende Fragen (stellt)“.

Foto Markus Termin ©

Den Artikel schreibt im SZ-Feuilleton von heute, 05.09.08, Alexander Kissler (03.12.1969 in Speyer). Zur Sonne-Mond Kombination Schütze-Jungfrau, wie Kissler sie hat, bemerkt Oskar Adler: „Es besteht … die Neigung, … seine Lebensführung strengen Prinzipien zu unterwerfen, die man als kategorische Imperative aus der moralischen Natur des eigenen Wesens abgezogen hat. Der ‚wohlverstandene Egoismus‘ wird zum ethischen Prinzip erhoben und mit dem Nimbus des Religiösen umgeben … aber gleichzeitig besteht die Neigung, dieses Prinzip sofort aufzugeben, wo es anfängt unrationell zu werden.“ Es lohnt sich, zu dieser Darstellung Kisslers Blog zu besuchen, damit man sieht, wie treffend Oskar Adler den Journalisten hier porträtiert, obwohl die Schilderung eine allgemeine Charakteristik ist:

Alexander Kissler, Kulturjournalist: Bücher

Kissler ist auch Buchautor, und hat jüngst ein Werk mit dem Titel „Der aufgeklärte Gott“ veröffentlicht. Er ist von Haus aus keiner, dem die Religion gleichgültig wäre, er bekommt Preise von evangelischen Akademien und es gibt ein Interview zu seinem Buch in kath.net „Wie die Religion zur Vernunft kam“, daraus ein Zitat:

„Kann man da von einer Bewegung sprechen? Sind es nicht eher vereinzelte Stimmen, die ihren Religionshass lautstark artikulieren?

Ich denke, wir stehen kurz davor, die Religionswerdung des vermeintlich antireligiösen Atheismus zu erleben. Es gibt medial machtvolle Dachorganisationen wie die Giordano-Bruno-Stiftung in Deutschland oder „The brights“, „Die Schlauen“, im angelsächsischen Raum. Diesen gelingt es zunehmend, eine Unvereinbarkeit von säkularem, also wissenschaftlichem, und nicht rein säkularem, also transzendenzoffenem, selbstkritischem Denken zu behaupten.

Eine solche Auffassung aber ist ein Dogma und gerade keine objektive Aufklärung. Im „Manifest des evolutionären Humanismus“ der Bruno-Stiftung heißt es: „Keine der bestehenden Religionen ist mit den Ergebnissen der wissenschaftlichen Forschung noch in Einklang zu bringen.“

Dahinter steckt eine doppelte Anmaßung: Eine spezielle Form von Wissenschaft, die nur das Experiment als Instanz der Wahrheitsfindung akzeptiert, schwingt sich auf zum Richter über den Wahrheitsgehalt religiöser Einsichten. Und zweitens wird so alle nicht-experimentelle Forschung, werden auch Philosophie und Theologie als unwissenschaftlich denunziert.“

Nun ist es diesbezüglich bemerkenswert, wie Kissler anhand des „Schwarzbuchs: gegen Waldorfschulen“, welches dieser Tage erscheint, gegen diese Schulen Argumente zu finden meint. Denn, wenn ich ihn richtig verstehe, sagt er im Kern: nichts gegen Waldorfschulen, solange dort keine Rudolf Steinersche Esoterik, keine Wiedergeburtslehre, keine übersinnlichen Dinge gelehrt werden. „Evaluation tut not“, schließt er seine Ausführungen (Evaluation ist die Beschreibung, Analyse und Bewertung von Projekten im Bildungsbereich).

Und so geht er vor: er zitiert Rudolf Steiner, und schon allein das Zitat muß für ihn, obwohl an sich ein geistig interessierter Mensch, bereits so himmelschreiend und so selbstverständlich absurd sein, dass er dies als Grund sehen würde, hier mal tüchtig zu untersuchen. Es sind Zitate, wie diese: „Lehrer müssen durchdrungen sein ‚davon, dass außerhalb unseres Planetensystems eine Welt vorhanden ist, die im Menschen sich entfaltet‘. Indem sie das ‚göttliche Rätsel‘ namens Kind entschlüsseln, wachsen sie selbst ihrem ‚höheren Menschen‘ entgegen: ‚Unsere eigene nächste Inkarnation als Erzieher redet mit den früheren Inkarnationen des Zöglings‘“ Kisslers Resümee: „Die bisher nicht geklärte Frage lautet: Bestimmt dergleichen Esoterik den Alltag an den Walldorfschulen? Ist der Gründungsvater der Geheimwissenschaft die Raison d`Étre?“ Denn wäre dies der Fall, so will Kissler damit selbstredend andeuten, dann wäre solches wohl kaum zu akzeptieren, sondern die Waldorfschulen gehörten abgeschafft.

Ich lese regelmäßig in Steiners Schriften und Vorträgen, finde dort sehr Wertvolles, obwohl ich nicht jeden Satz gutheißen würde. Doch dass Steiner der Einzige ist, der die Seele des Kindes ins Zentrum einer liebevollen Erziehung gestellt sehen will, steht außer Frage, denn die anderen haben, auch und gerade wenn es kirchliche Einrichtungen sind, eigentlich keine Vorstellung davon, was ‚Seele‘ denn sein soll. Für mich erschreckend: Kisslers Zitate gegen Steiner, die also seine größtmögliche Absurdität beweisen sollen, haben nichts Befremdliches (blaue Hervorhebungen von mir scheinen Originalton Steiner im Zitat zu sein), sondern sie lassen wahrlich aufatmen, dass es eine solche Schule Gott sei Dank heute gibt, die diese Ansprüche an Lehrer stellt. Auch die Schattengefechte aus dem obigen Interview-Ausschnitt, wo eine Bruno-Stiftung namensmißbräuchlich den tief spirituellen, und doch 1600 auf dem Campo di Fiori in Rom nach langer Folter verbrannten Giordano Bruno gegen die Religion ins Feld führen will, angeblich um die Wissenschaft zu stützen, vernebelt nur, dass Naturwissenschaft und Kirchen-Religion heute die beiden großen dogmatischen Institutionen des Pseudo-Geistes sind, die nunmehr wohl einen gemeinsamen Feind ausgemacht haben: die Esoterik. Wissenschaftlicherseits (darüber wurde in diesem Blog schon diskutiert) plagt man sich herum mit so merkwürdigen Widersprüchen, „dass nach dem Hubbelschen Gesetz das Universum ständig expandiert, und die beobachteten Himmelkörper proportional zu ihrer Entfernung immer schneller würden, wobei wir selbst im Mittelpunkt stehen, es aber in Wirklichkeit gar keinen Mittelpunkt gibt, sondern nur jeder Beobachter die Illusion hat, er sei der Mittelpunkt einer wilden Flucht nach außen, was dem Hubbelschen Gesetz Rechnung trägt, weil tatsächlich der gesamte Raum gedehnt wird, und zwar überall mit dem gleichen Tempo.“ (Joâo Magueijo „Schneller als die Lichtgeschwindigkeit“, S. 110). Da werden wahrlich Dogmen geschaffen und Versuche zurechtgebogen, um „Gesetzte“ zu erfüllen, die trotz oder sogar wegen ihrer Nutzanwendung Hand in Hand gehen mit einer tiefen dogmatischen Tradition, wie sie den Kirchen zu eigen ist: reicht uns die Materie nicht, um das Universum zu erklären, dann schaffen wir uns flugs die Antimaterie. Kirchlicherseits fallen die Probleme des Kindesmißbrauchs inzwischen so sehr ins öffentliche Gewicht, die Frage drängt sich auf, ob sie nicht schlechthin systemimmanent sind? Da reicht wohl keine Entschuldigung eines Würdenträgers.